Integrativer Frauenselbstverteidigungskurs in Kell
ist ein Stück gelebte Willkommenskultur
„Halt! Stopp! Verschwinde!“ hallt es durchdringend durch die Sporthalle. Ju Jutsu Trainer Siegfried Duhr steht da wie in Stein gemeißelt und stößt die Handfläche resolut abwehrend nach vorne. Stille und Spannung liegt in der Luft. Mariam, Sabze, Delba, Elhuda und Leila machen große Augen, sind beeindruckt, schauen sich reihum an und kichern schließlich. Das Rollenspiel im neuen integrativen Frauenselbstverteidigungskurs der Kolpingfamilie Kell ist ein Stück gelebte Willkommenskultur.
Seit Dezember betreut Sozialarbeiterin Katharina Schmidt vom Caritasverband Trier mehr als 140 Flüchtlinge in Kell am See und anderen Hochwaldorten. Familien, aber auch junge, allein reisende Männer aus Afghanistan, Syrien und dem Iran sind in Kell teils in mobilen Wohneinheiten auf dem Platz mitten im Dorf neben der alten Mühle untergebracht und auch im ehemaligen Hotel St. Michael. Der Caritasverband ist als Kooperationspartner des Kreises für die soziale Betreuung der Flüchtlinge zuständig. Und Sozialarbeiterin Katharina Schmidt knüpft beharrlich am Netzwerk, um Interessierte und Ehrenamtliche aus den Ortsgemeinden, Sport-, Kultur- und Musikvereinen in Sachen Willkommenskultur zusammenzubringen.
Der neue integrative Frauenselbstverteidigungskurs ist ganz spontan entstanden. „Meine Idee war es“, so erzählt Ju Jutsu Fachübungsleiter Siegfried Duhr, auch Vorsitzender der Kolpingfamilie Kell, „unsere Frauen aus der Gemeinde mit den Flüchtlingsfrauen in einem Kurs zusammenzubringen und sich durch den Sport näher kennenzulernen, Vorurteile abzubauen.“ In Kell ist Ju Jutsu nicht nur Gewaltprävention, Selbstbehauptung und Selbstverteidigung, sondern auch gesellschaftlicher Kitt. „Und macht obendrein ganz viel Spaß“, wirft Katharina Schmidt lachend ein und reckt die Handfläche kraftvoll vor, um gemeinsam mit den anderen vom Ju Jutsu Meister zu lernen.
Tief durchatmen, groß werden, ganz groß, den Arm ausstrecken und NEIN sagen.
Siegfried Duhr will den Frauen vor allem eines beibringen: Selbstbewusst in Haltung und Stimme lautstark NEIN sagen können, um gefährliche Situationen im Keim zu ersticken. „Täter suchen sich nämlich immer Opfer, nie Gegner“, weiß der Ju Jutsu Trainer und bringt den Frauen an diesem Tag in der Sporthalle in ganz unterschiedlichen Rollenspielen und Wahrnehmungsübungen bei, sich mit Mimik, Gestik und Stimme zu verteidigen. „Denn die Kampf- und Abwehrtechniken des Ju Jutsu sind das letzte Mittel, um im Ernstfall gerüstet zu sein.“
„Cool, das hier macht richtig viel Spaß“, sagt Mariam Rezai aus Afghanistan, die für ihre Freundin Sabze übersetzt, was Siegfried Duhr den Frauen mit auf den Weg gibt. „Die Stimme wirkt wie ein Faustschlag“, sieht es die 19jährige Jeanette aus Kell und freut sich, dass Mechtild und Mareike sie mit zum Kurs genommen haben. „Im Ort trifft man sich zwar, manche grüßen, manche nicht, aber man kommt nicht ins Gespräch. Hier im Kurs ist das anders. Auch, weil wir zu zweit in Rollenspielen agieren.“
Als Siegfried Duhr schließlich den gut gepolsterten Trainingshandschuh anzieht und alle ermutigt, kraftvoll drauf zu schlagen, da müssen sie lachen, trauen sich nicht wirklich. „Nicht von oben schlagen wie ein Mädchen, sondern gerade nach vorne mit voller Power. Kommt, macht mit!“ Der Ju Jutsu Meister zeigt, wie’s geht, kraftvoll und stark. Er animiert die Frauen, all ihre Wut und Energie im Handschuh zu versenken. Und schließlich trauen sich alle. Die Frauen aus Kell genauso wie die aus Afghanistan, Syrien und dem Iran. „Es funktioniert“, lächelt Siegfried Duhr leise und ist mit seiner ersten Stunde zufrieden. Ju Jutsu (übersetzt) die „sanfte Kunst“, die lehrt, durch Nachgeben oder Ausweichen mit der Kraft des Angreifers zu siegen.